Aufgaben – Der „sozial- und kulturanthropologische Blick“, Einleitung

Was macht den fachspezifischen „sozial- und kulturanthropologischen Blick“ aus?

Die Sozial- und Kulturanthropologie betrachtet Lebensweisen, Kulturen und Weltverständnisse in ihrer Vielfalt und Komplexität. Sie möchte Neugierde dafür wecken, dass die Welt reicher, diverser und auch widersprüchlicher ist, als üblicherweise angenommen wird. Sie will Unbekanntes verstehen und Bekanntes infrage stellen. Sie ist auch „eine Form des Geschichtenerzählens über das Leben, das Sie und ich hätten führen können“ (Eriksen 2017: 7). Die Sozial- und Kulturanthropologie ist dabei eine explorierende und nach Bedeutungen suchende Wissenschaft, die durch detaillierte Mikrostudien lokale Phänomene transkulturell und global verorten, vergleichen und verstehen will. Hierbei muss zwischen Spezifik und Verallgemeinerbarkeit abgewogen werden.

Sozial- und Kulturanthropolog*innen gewinnen empirische Daten meist durch eine längerfristige, direkte Teilhabe an den Lebenswelten, die im Fokus ihrer Forschung stehen (Feldforschung). Dabei versuchen sie durch die aktive Teilnahme am Alltag ihrer Forschungspartner*innen (Teilnehmende Beobachtung) und verschiedene qualitative und quantitative Erhebungsverfahren die Perspektive, aus der Handelnde selbst ihre Welt erleben, verstehen und deuten (Binnenperspektive oder auch emische Perspektive genannt) zu erfassen und mit den jeweiligen lokalen kulturellen Regeln, Praktiken und Strukturen vertraut zu werden.

Der systematische Perspektivwechsel zwischen Außen- und Innensicht ist zentraler Bestandteil des spezifischen „sozial- und kulturanthropologischen Blicks“. Weiterhin kennzeichnend für die Herangehensweise von Sozial- und Kulturanthropolog*innen ist die holistische Perspektive, die nach den komplexen Zusammenhängen zwischen verschiedenen Aspekten und soziokulturellen Bereichen fragt: Anstatt einen gesellschaftlichen Bereich getrennt von anderen zu betrachten, ist es das Ziel der Sozial- und Kulturanthropologie, ihre Wechselbeziehungen zu erkennen, zu verstehen und erklären zu können.

[Quelle des Zitats: Eriksen, Thomas Hylland. 2017. What is Anthropology. London: Pluto Press.]