Religionsphilosophie – Aufgabe 2 von 2

Textauszug: Bernhard Welte, „Christentum und Religionen der Welt“ (1980), in: Bernhard Welte, Gesammelte Schriften, Bd. III/2: Kleinere Schriften zur Philosophie der Religion, eingeführt und bearbeitet von Markus Enders, Freiburg i. Br./Basel/Wien: Herder, 2008, S. 177–263, hier S. 215 f.

„Bei diesem gegenseitigen Verstehen spielt eine zentrale Rolle die Unterscheidung zwischen Kultur und Sprachgestalt einer Religion einerseits und ihrem ,Geist‘ oder ihrer ,Seele‘, d. h. ihrem ursprünglichen religiösen Erfahrungsgrund andererseits. Diese beiden Ebenen gehören immer zusammen, aber sie sind doch auch immer zu unterscheiden. Unser Christentum hat, wie Hans Waldenfels mit Recht sagt, ein europäisches Kleid. Andere große Religionen haben ein ostasiatisches oder ein vorderasiatisches Kleid usw. Und in der Konstitution des Vaticanum II über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes (Nr. 62) ist ausdrücklich gesagt, die Glaubenshinterlage selbst dürfe nicht verwechselt werden mit ihrer Aussageweise.

Diese Differenz, auf die man schon früher aufmerksam wurde, spielt nun bei der theologischen Begegnung der Religionen eine zentrale Rolle. Wenn wir unser Christentum einem nichtchristlichen Partner erläutern wollen, so tun wir dies unvermeidlich in einer Sprach- und Begriffsweise, die in einer langen abendländischen Tradition herangewachsen sind. Aber wir können nicht sagen, daß das Christentum nur in dieser Sprech- und Begriffsweise denkbar ist. Das Schwierige an dieser Sache ist aber, daß die Religionen nie ohne ein solchermaßen bestimmtes Denken und Sprechen, ohne ,Kulturkleid‘ also erscheinen. Wie es nicht die reine und sozusagen nackte Religion gibt, so auch nicht das reine, sprach- und kulturlose Christentum. Will ich nun meinen Partner von innen heraus verstehen, oder will ich ihm mein Christentum von innen heraus deutlich machen, also von dem her, was allen Ausdrucksformen zugrunde liegt, dann kann ich aber auch nicht so vorgehen, daß ich mein Christentum oder seine Religion auf einen ,reinen‘ Kern reduziere, auf eine Kurzformel, sozusagen auf einen kleinsten womöglich gemeinsamen Nenner. Denn auch eine solche ,reine‘ Formel wäre schon wieder Sprache und Kultur.

Dies macht sichtbar, daß es kein technisches, zweckrationales Verfahren für die hier zu fordernde Übersetzung gibt. Das Innere, der Geist oder die Seele der Religion kann nur mit dem ,Sprung‘, eben dem eigentlichen Übersetzen, erreicht werden. Man kann ihn auch den Einsprung in den hermeneutischen Zirkel nennen, aus dem der andere lebt.“